Prof. Dr.-Ing. Klaus Langwieder - Analyse: An der Schnittstelle zu neuer Mobilität

Artikel aus Newsletter Ausgabe 16, November 2014

Von den Fahrern willkommen geheißen, hat sich das Automobil in den letzten anderthalb Jahrzehnten immer mehr vom „Befehlsempfänger“ zum unterstützenden Partner entwickelt. Fahrerassistenzsysteme (FAS) erleichtern Fahraufgaben (z.B. Fahrstabilität, ESC, Spurhaltung), entlasten Fahrer (z.B. Navigationssysteme) und erhöhen die Verkehrssicherheit (z.B. Abstandsregler, automatische Notbremssysteme).

Rund um Göteborg werden 100 selbstfahrende Volvos im Realverkehr getestet (Foto: Volvo Presse)
Rund um Göteborg werden 100 selbstfahrende Volvos im Realverkehr getestet
(Foto: Volvo Presse)

Zugleich stellen die Systeme aber auch Anforderungen an eine sachgerechte Bedienung und Nutzung. Auch die heute schon hoch entwickelten Assistenzsysteme sind nicht der Endpunkt, sondern vielmehr der Start zu automatisierten Fahrvorgängen bis hin zum dereinst vollautomatischen Fahren. Alle Hersteller und Zulieferer haben heute schon einen Terminplan der dafür nötigen technischen Schritte. Sicheres vollautomatisches Fahren nicht nur auf Autobahnen, sondern auch auf Landstraßen und in der Stadt ist möglich, wie die Daimler AG mit dem Mercedes S 500 mit der „Berta-Benz-Fahrt“ im Sommer 2013 von Mannheim nach Pforzheim nachgewiesen hat. Auch die Volvo Car Group testet 2014 im Rahmen des Projektes „Drive me“ 100 selbstfahrende Volvos unter normalen Verkehrsbedingungen rund um Göteborg auf öffentlichen Straßen. Ebenso beweisen die Erfahrungen von Google in Kalifornien und extreme Wüstenrallyes mit vollautomatischen Fahrzeugen die technische Machbarkeit. Indes, eine breite Verwendung solcher Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr setzt veränderte rechtliche Rahmenbedingungen, eine spezielle Infrastruktur und die Akzeptanz der Fahrer voraus. Wie das automatisierte Auto angenommen wird, hängt sicher auch von den Kosten ab.

Schritte zum automatischen Fahren 

In einem international vereinbarten Stufenplan wurden die Schritte zum automatischen Fahren definiert – von „Driver only“ bis zur Vollautomatisierung ohne Fahrer. Beim teilautomatischen Fahren muss der Fahrer jederzeit voll einsatzbereit sein; beim hoch automatisierten Fahren können Nebentätigkeiten durchgeführt werden, aber der Fahrer muss immer bereit sein, innerhalb einer definierten Übernahmezeit (derzeit ca. 10 Sekunden) die uneingeschränkte Kontrolle des Fahrzeugs zu übernehmen. Dieser Schritt von Teilautomatisierung zur Hochautomatisierung stellt die größte Herausforderung dar, viel mehr als der mögliche finale Schritt zum vollautomatischen Fahren unter speziellen Rahmenbedingungen. 

Automatisation und Fahrerschulung 

Aus Sicht der Deutschen Fahrlehrer-Akademie (DFA) müssten verstärkt belastbare Forschungen der Hersteller erfolgen, die zweifelsfrei klären, was der Fahrer mit der „gewonnenen Zeit“ beim hoch automatisierten Fahren tun darf, wie diese Tätigkeiten aussehen dürfen und welche Fehlverhaltensweisen bei Fahrern auftreten könnten. Auch wenn dies für heutige Fahranfänger noch nicht aktuell ist, in der Zukunft werden diese Fragen für die Aus- und Weiterbildung der Fahrer ein zentrales Thema sein. Die Hersteller, z.B. Continental, haben Zeitpläne veröffentlicht, wonach mit ersten Serienfahrzeugen teilautomatische Vorgänge ab circa 2016, hoch automatisiertes Fahren ab 2020 und Vollautomatisierung ab dem Jahr 2025 Realität sein könnten. Dieses Zeitgefüge ist zwar nicht in Stein gemeißelt, doch dieser Entwicklungstrend schreitet mächtig voran. Die Erfahrungen bei der Einführung neuer und auch kostspieliger Systeme zeigen, dass zunächst Fahrzeuge der Oberklasse damit ausgestattet werden. Dann vergehen meist mehrere Jahre, bis diese Systeme auch in Fahrzeugen der Mittel- und Kompaktklasse zur Verfügung stehen. Es werden somit während mindestens ein bis zwei Jahrzehnten neben hochautomatischen oder sogar vollautomatischen auch noch „nur“ von Menschen gelenkte Fahrzeuge  unterwegs sein. Diese Übergangszeit wird an die Fahrer, aber auch an die Fahrausbildung besondere Anforderungen stellen. 

Rechtliche Fragen 

Die Widersprüchlichkeit zum Wiener Übereinkommen von 1968, wonach der Fahrer sein Fahrzeug jederzeit beherrschen, d.h. kontrollieren muss, scheint ausgeräumt zu sein. In den internationalen Gremien wurde im Sommer 2013 ein Änderungsvorschlag eingebracht, wonach die Bedingungen dieses Übereinkommens als erfüllt betrachtet werden, wenn der Fahrer jederzeit die alleinige Kontrolle über sein Fahrzeug haben kann – die Systeme also abgeschaltet oder übersteuert werden können. Das löst zwar ggf. die zulassungsrechtlichen Fragen, aber nicht die haftungsrechtlichen Probleme. Es sind also noch weitere Aufgaben in der nächsten Zeit zu lösen. 

Indessen stehen für die Fahrausbildung aktuell wichtige Klärungen hinsichtlich des assistierten und teilautomatischen Fahrens an: Für moderne Fahrzeuge wird zunehmend die „automatische Kraftübertragung“ (Schaltautomatik) Standard sein. Es ist aus Sicht der DFA unbedingt zu klären, ob und wie eine vollgültige Fahrausbildung auf Automatikfahrzeugen erfolgen kann. Des Weiteren, welcher Zeitaufwand für das zusätzliche Erlernen des Kuppelns und Schaltens auf konventionellen Pkw mit Schaltgetriebe nötig ist. Aber auch Automatikfahrzeuge stellen spezielle Ausbildungsanforderungen, z.B. Benutzung des „Kick-down“, Nutzung der Motorbremswirkung auf langen Gefällstrecken sowie die Wahl der optimalen Getriebestufe in langen Steigungen. Dies soll in die Automatik-Ausbildung einfließen. Eine Fahrkompetenz-Beurteilung in Ausbildung und Prüfung ist schon heute zu klären und zu objektivieren, z.B. bei Einparkhilfen und Spurhaltesystemen. Wie kann man die Fahrkompetenz eines Fahrschülers bei Fahrten mit Fahrerassistenzsystemen erkennen, die ihm durch Abstandsregelung, Spurhaltung oder auch Verkehrszeichenerkennung das Fahren erleichtern? Zu klären ist auch, wie sich der an bestimmte Systeme gewohnte Fahrer (z.B. City-Safety-Abstandsregler) verhält, wenn er einen konventionellen Pkw ohne Assistenzunterstützung fährt. Wie wird das Langzeitverhalten von Fahrern durch FAS beeinflusst? Verändert das Vertrauen auf die Funktion der FAS die eigene Reaktionsbereitschaft? Wird das „Sozialverhalten der Fahrer“ in der Übergangszeit von konventionellen und teilautomatischen Fahrzeugen im Straßenverkehr beeinflusst oder verändert? Auch wenn bislang gravierende Probleme nicht erkennbar sind, sollten diese Fragen nicht unbeachtet bleiben. Heute stehen im Hinblick auf neue Mobilität und automatische Fahrvorgänge die noch gut überschaubaren Probleme auf Autobahnen im Vordergrund; aber eine Ausweitung auf den Außerorts- oder sogar Innerortsbereich wird mit der Zeit erfolgen, denn eine im Prinzip gewiss positive technische Sicherheitsentwicklung wird sich durch nichts aufhalten lassen. Die oben nur kurz angesprochenen Themenkreise müssen durch eine fundierte Diskussion, gerade auch im Fahrlehrer-Berufsstand, erweitert und konkretisiert werden. Dabei müssen langfristige Entwicklungen schon heute Berücksichtigung finden. Die neue Mobilität erfordert eine neue Mentalität der Fahrer, veränderte Einstellung zu ihrem Fahrverhalten und zu ihrer nach wie vor bestehenden Verantwortung für die Verkehrssicherheit. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung vor allem der nächsten Dekade, der sich die Verkehrspolitiker und Hersteller in Europa und weltweit, aber auch Institutionen, die sich mit Verkehrssicherheit und menschlichem Verhalten befassen, verstärkt stellen müssen. Die Deutsche Fahrlehrer-Akademie wird sich auch diesen Aufgaben intensiv widmen.

 

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