Prof. Dr.-Ing. Klaus Langwieder: Kargere Abnahme bei Schwerstunfällen - Versuch einer Klärung nach vorläufigen Zahlen

Artikel aus Newsletter Ausgabe 17, April 2015

Von 2000 bis 2010 gab es Jahr für Jahr Rekordmeldungen über den Rückgang der schweren Unfälle im Straßenverkehr. In Deutschland waren es am Ende des Jahrzehnts erfreuliche 45 Prozent. Seitdem aber wurden die positiven Quoten kontinuierlich kleiner: von 3.648 Getöteten in 2010 auf 3.350 in 2014, nur 9,2 Prozent in 5 Jahren.

Welche Einflüsse sind erkennbar, lässt man veränderte Fahrleistungen zunächst außer Betracht? Unfälle mit getöteten Pkw-Insassen nehmen nach wie vor leicht ab; sicher wirken daran verbesserte Sicherheitstechnik, moderne Assistenzsysteme, nicht zuletzt aber auch die Qualität der Fahrausbildung mit. Der Anteil getöteter Jugendlicher im Pkw ging von 2013 auf 2014 um rund 10 Prozent zurück. Ein sehr bemerkenswertes Ergebnis. – Effekt des begleiteten Fahrens mit 17?

Getötete bei Straßenverkehrsunfällen  1990 bis 2014

Getötete bei Straßenverkehrsunfällen 1990 bis 2014 (Quelle: Copyright Statistisches Bundesamt)

Quelle: Copyright Statistisches Bundesamt

Negativtrend bei Zweiradfahrern 

Anders hingegen bei motorisierten Zweiradfahrern und Radfahrern. Hier nahmen die Schwerstunfälle massiv zu. Schon 2013 brachte ein enttäuschendes Ergebnis. 2014 jedoch war jeder dritte im Straßenverkehr Getötete diesen beiden Kategorien zuzuschreiben. In den ersten 6 Monaten von 2014 fanden 37 Prozent mehr Fahrer/Mitfahrer von motorisierten Zweirädern als im gleichen Zeitraum des Vorjahres den Tod. Bei den Radfahrern waren es 32 Prozent mehr. Milde Winter- und Frühjahrsmonate scheinen negativen Einfluss auf das Unfallgeschehen bei Zweiradfahrern zu nehmen. Daher den lebenswichtigen Hinweis an Motorradfahrer, die Frühjahrsausfahrt nach der Winterpause besonnen, mental trainiert und körperlich fit anzutreten; Neueinsteiger sollten sich um ein „Update“ ihrer Fahrfertigkeiten bemühen. Letztlich müssen aber auch die anderen Verkehrsteilnehmer nachhaltig auf die noch immer zunehmende Zahl der Zweiradfahrer eingestimmt werden. Zweiradfahrer und Fußgänger, beide von Natur aus ungeschützt, sind nach den Pkw-Insassen die am stärksten vom Verkehrstod und Schwerverletzung betroffenen Gruppen. 

Woher die dünneren Quoten?

Woran liegt es nun, dass gerade auch im Pkw-Bereich deutlichere Rückgänge der Schwerstunfälle nicht mehr zu erreichen sind? Sind die Systeme der „passiven Sicherheit“ (Verletzungsschutz bei Unfall) ausgereizt? Dringen die modernen Fahrerassistenzsysteme (FAS – Stichwort integrale Sicherheit), einmal abgesehen von ESC, zu langsam voran, namentlich im Markt der sog. Großserien? Das DFA-Projekt „Wirkpotentiale moderner Fahrerassistenzsysteme“ prognostizierte die FAS-Ausstattungsquote der Gesamt-Pkw-Flotte in Deutschland für 2020 nur im Bereich von 5 bis 10 Prozent. Zwar ist heute das teil- und hochautomatisierte Fahren voll in der Diskussion, aber selbst bei Neufahrzeugen lässt die „Take-Rate“ der hochentwickelten Assistenzsysteme noch zu wünschen übrig.  Umso wichtiger ist die Rolle der Fahrschulen als Berater für mehr Sicherheit, nicht nur bei Fahranfängern, sondern auch bei erfahrenen Fahrern. Hierzu sollten neue Tätigkeitsbereiche mit Selbstbewusstsein und Kompetenzvertrauen angesteuert werden.

Unfallforschung neu ausrichten 

Von großer Bedeutung ist es nach Jahren verringerter Aktivitäten auch, durch repräsentative Großuntersuchungen aktueller Realunfälle wieder aufzuzeigen, wie sich die Problempunkte der Verkehrssicherheit verändern oder schon verändert haben. Aus solchen Untersuchungen könnten sich konkrete Maßnahmen mit entsprechenden Wirkerwartungen ergeben. In-depth-Untersuchungen wie GIDAS oder die modernen Field-Observation-Tests (FOT) sind richtungsweisend und unverzichtbar, aber sie müssen kontinuierlich am aktuellen Unfallgeschehen gespiegelt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass wir in gutem Glauben in Präventionskategorien denken, die vor Jahren angemessen waren, nun aber durch die Veränderung der Verkehrsströme und der Verhaltensweisen aktualisiert werden müssen. Durch intelligente Abstandsregler (ACC) oder automatische Notbremssysteme (AEBS) werden, ja müssen sich Veränderungen der Unfallpotentiale ergeben, und es werden sich andere, vielleicht auch neue Unfallstrukturen herausstellen. Kontinuierlich umfassende Unfallforschung und aktuelle Dokumentation der Unfallfaktoren unter Berücksichtigung der modernen sicherheitsfördernden Assistenzsysteme ist mehr denn je nötig, sonst wird das Ziel „Reduzierung der Verkehrstoten um 40 Prozent bis 2020“ unerreichbar bleiben.

 

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