Motorrad: Der beste Schutz ist gute Ausbildung

Artikel aus Newsletter Ausgabe 3, April 2008

Wenn im März die lauen Lüfte wehen und es überall sprosst und blüht, erwachen auch die Gelüste der Motorradfans. Man kann es kaum mehr erwarten, auf kurvenreichen Pisten dahinzugleiten und die unnachahmlichen Düfte der zu neuem Leben erwachten Natur zu genießen. Apropos Leben: Darum geht es hauptsächlich! Denn wer an Motorradfahren denkt, kommt nicht an der Tatsache vorbei, dass jeweils zu Beginn der Saison die Anzahl der Opfer jäh ansteigt. Im letzten Jahr war das besonders schlimm, und auch in den folgenden Monaten waren die Unfallzahlen teilweise sehr deprimierend. Solche Meldungen machen das Motorrad nicht gerade populärer und lassen den Absatz schwinden. Was Wunder, wenn da die Hersteller immer intensiver über technische Lösungen zur Verbesserung der passiven Sicherheit der Biker nachdenken. Dabei kommt immer wieder der Airbag ins Gespräch, zumal Honda die in den USA hergestellte Gold Wing seit rund einem Jahr mit einem solchen System ausstattet. Verschiedenen Berichten zufolge soll der Airbag bei simulierten Frontalzusammenstößen gut abgeschnitten haben. Und in der Realität hat nach einem von der Zeitschrift Motorrad veröffentlichten Bericht der Fahrer einer Gold Wing dank Luftsack einen Frontalcrash überlebt.

Airbag ja, aber …

An dieser Stelle wenden die Unfallforscher zu Recht ein, dass ein Schutz gegen die Folgen des Frontalunfalls alleine keineswegs das Ei des Columbus ist. Ähnlich denken die Sicherheitsingenieure der meisten Motorradhersteller, denn nicht der Frontalunfall, sondern der Sturz in allen seinen Varianten ist die häufigste Ursache für Verletzungen. „Wenn man über Motorradsicherheit nachdenkt, darf man sich nicht in Pkw-Kategorien bewegen, ein ähnliches Maß an passiver Sicherheit lässt sich da nicht verwirklichen.“ So oder ähnlich lauten die Statements der Experten. Das heißt aber nicht, dass man das Thema ad acta gelegt hat. Die Hersteller wissen sehr gut, dass die Zukunft des Motorrades vor allem von der Frage abhängt, wie sicher man damit unterwegs ist. Die jahrlange sträfliche Vernachlässigung des ASB – BMW ausgenommen – hat sich für einige Hersteller bitter gerächt. Wir wissen längst, dass zahlreiche Stürze hätten vermieden werden können, hätten die Maschinen ABS gehabt. Inzwischen sind wir – und das ist gut so – in Deutschland (fast) so weit, dass neue Motorräder ohne ABS nur noch schwer an den Mann zu bringen sind.

Entwicklung und Forschung: Fahrwerktechnik und Reifen

Als wichtigen Sicherheitsfaktoren kommt seit geraumer Zeit vor allem der Verbesserung der Fahrwerktechnik und der Reifen ziemliche Bedeutung zu. Auch Systemen der elektronischen Warnung vor gefährlichen Fahrbahnzuständen schenkt man erhöhte Aufmerksamkeit. Manche meinen auch, rundum mit Luftsäcken bestückte Schutzanzüge seien die Lösung schlechthin. Technisch wahrscheinlich möglich – aber wie schwer, wie teuer und wie spaßtötend würde so ein Monstrum wohl sein? Ganz nüchtern betrachtet sind für das Motorrad technische Lösungen im Sinne weitgehender Verletzungsvermeidung nicht in Sicht. Deshalb bleibt vorerst und sicher noch für lange Zeit qualifizierte Ausbildung sowie eine die Schwächen des Fahrers aufdeckende und ausgleichende Fortbildung der beste Schutz, den man Motorradfahrern mitgeben kann.

Didaktische Könner sind gefragt

Um guten praktischen Unterricht erteilen zu können, müssen Motorradfahrlehrer erstens Fahrkönner und zweitens ausgezeichnete Diagnostiker und Didaktiker sein. Mangelnder Fortschritt und Rückschläge in der praktischen Ausbildung, ja Ausbildungsunfälle, können die Folge falscher Einschätzung des Vermögens der Fahrschüler und didaktischer Fehlleistungen sein. Kann es sein, dass die praktische Motorraddidaktik bei der Ausbildung der Motorradfahrlehrer etwas zu kurz kommt? Wenn es so ist, mag das u.a. daran liegen, dass wesentliche didaktische Unterschiede zwischen der Ausbildung auf mehrspurigen Kraftfahrzeugen und Krafträdern nicht oder nicht ausreichend erkannt sind. In der späteren Praxis treten Defizite der Fahrlehrerausbildung am deutlichsten durch Überforderungen der Fahrschüler zutage. Überforderungen, das ist eine Binsenwahrheit, sind Motivationskiller und gefährlich obendrein. Zuverlässigen Beobachtern zufolge fehlt es oft an der notwendigen didaktischen Detailarbeit, indem z.B. bei der Schulung der Fahrzeugbeherrschung wichtige Schritte und Stufen „übersprungen“ werden. Eine so komplexe (Prüfungs-) Übung wie Ausweichen vor einem Hindernis darf keinesfalls in Angriff genommen werden, ohne den Schüler zuvor geduldig Schritt für Schritt durch einfache, die Fähigkeiten formende Übungen an das Balanceverhalten des Kraftrads und das dosierte Stören der Kreiselkräfte heranzuführen.

Ausbildung spezifischer anlegen

Es ist m.E. deshalb notwendig, die Nummer 2.4 des Rahmenplans für die Fahrlehrerausbildung an Fahrlehrerausbildungsstätten inhaltlich differenzierter zu fassen und den didaktischen Übungen mit dem Motorrad ein eigenes, verbindliches Zeitkontingent von mindestens 30 Stunden zuzuteilen. Daneben freilich ist die regelmäßige Teilnahme an speziellen Fortbildungen für Motorradfahrlehrer zur Erlangung neuer Erkenntnisse und Vertiefung der Fertigkeiten unentbehrlich. Jedoch vermag ich der in der heutigen Bildungspolitik nicht zu übersehenden Tendenz, Fortbildung zum Allheilmittel gegen Versäumnisse der grundlegenden Berufsausbildung zu erheben, in diesem Zusammenhang wenig abzugewinnen. Hier geht es vom ersten Schüler an um Gesundheit und Leben. Da wäre es fatal, wenn einer erst später merkte, was er in Jahren zuvor falsch gemacht hat.

Gebhard L. Heiler

 

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