Erwachsenenbildnerische Qualität in Fahrschulen - Luxus oder Notwendigkeit?

Artikel aus Newsletter Ausgabe 4, Dezember 2008

Prof. Dr. phil. Margret FellBild: Prof. Dr. phil. Margret Fell

Die Frage, ob die Tätigkeit von Fahrlehrern oder Fahrlehrerinnen in Bezug auf die Aus- und Weiterbildung von Kraftfahrern eher der wissenschaftlichen Disziplin der Schulpädagogik oder der der Erwachsenenbildung (Andragogik) zuzurechnen ist, stellt sich mindestens aus drei Gründen:

  • Wir leben in einer Fortbewegungs- und Beschleunigungsgesellschaft, in der die Fähigkeit, sich verkehrssicher von einem Ort zum anderen fortbewegen zu können, inzwischen für alle Altersgruppen zu den fachübergreifenden Qualifikationen für die allgemeine Lebensbewältigung zählt.

  • Die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zeigt einen Trend an, wonach in den nächsten Jahrzehnten immer weniger junge und immer mehr ältere Menschen das gesellschaftliche Geschehen bestimmen werden. Ein Segment gesellschaftlicher Realität ist dabei der Straßenverkehr.

  • Der Übergang vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen ist ein fließender. Junge Menschen werden in diesem Alter mit allen Rechten und Pflichten eines Erwachsenen ausgestattet und sind somit dem Erwachsenenalter zuzurechnen.

Fahrschulen als Orte der Erwachsenenbildung 

In unserer Gesellschaft gibt es inzwischen kaum einen Lebensbereich mehr, in dem nicht eine permanente und zu einem beträchtlichen Teil vollkommen freiwillige Weiterbildung zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Im Zuge dessen ist die Etablierung verkehrsbildnerischer Maßnahmen im Erwachsenenalter innerhalb des gesamten allgemeinen Weiterbildungsangebotes längst überfällig. Die verkehrssichere motorisierte und nichtmotorisierte Teilnahme am Straßenverkehr muss als Bildungsinhalt in Weiterbildungsangeboten innerhalb und außerhalb von Fahrschulen schon deshalb einen wesentlich höheren Stellenwert als bisher erhalten, weil eine verkehrssichere Teilnahme am Straßenverkehr stets mit existentiellen Fragestellungen und Herausforderungen einhergeht. Während sich die Verkehrspädagogik mit Konzentration auf die Altersgruppe von Kindern und Jugendlichen bereits seit langem mit Möglichkeiten verkehrssicherheitsfördernder pädagogischer Interventionen im Sinne von Verkehrserziehung beschäftigt, wird auf wissenschaftlicher Basis eine Verkehrsbildung im Erwachsenenalter explizit nur von der Autorin in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Fahrlehrer-Akademie diskutiert. Fahr"schulen“ sind zu lange homogenisierend nach dem Muster Schule organisiert worden. Es ist an der Zeit, sie zu individualisieren und am partnerschaftlich-dialogischen und erfahrungsbestimmten Paradigma der Erwachsenenbildung zu orientieren. Es gibt derzeit keinen anderen Berufsstand, der die didaktisch-methodischen Aufgaben einer lebensbegleitenden Verkehrsbildung professioneller bewältigen könnte als der der Fahrlehrer/innen. Voraussetzung dafür ist eine intensivere Beschäftigung mit einer dezidiert erwachsenenbildnerischen Didaktik und Methodik in der Fahrlehrerausbildung bzw. eine diesbezügliche erwachsenenbildnerische (andragogische) Weiterqualifizierung von Fahrlehrern/innen.

Fahrlehrer als Experten für Personal-„Entwicklung“ im Straßenverkehr

Erwachsene können nicht wie Kinder und Jugendliche erzogen werden. Zudem gilt es in Einrichtungen der Erwachsenenbildung die Besonderheiten des Lernens im Erwachsenenalter zu berücksichtigen: Erwachsene lernen nicht schlechter als Kinder und Jugendliche, sondern nur anders. Insofern ist das Berufsfeld von Fahrlehrern/innen als ein erwachsenenbildnerisches zu entfalten, das neben dem bislang klassischen Tätigkeitsschwerpunkt der Fahrerausbildung, den der Fahrerweiterbildung auch in Form einer lebensbegleitenden, also altersübergreifenden Verkehrsbildung implizieren muss. Denn wer ein Fahrzeug führt, hat nicht nur die Aufgabe, das Fahrzeug technisch einwandfrei fortzubewegen, sondern vor allem auf andere Verkehrsteilnehmer gerichtete personale und soziale Führungsqualitäten mitzubringen, also die Fähigkeit, situationsorientiert, flexibel und verstehend mit zum Teil offenen und unstrukturierten Situationen umgehen zu können. Fahrlehrer/innen sind in diesem Zusammenhang mehr denn je als Experten für Personal-„Entwicklung“ im Straßenverkehr gefordert, Fahrlehrer/innen haben die Aufgabe, Fahrauszubildende und Fahrweiterzubildende (derzeit z.B. ASP, ASF, FSF) personal zu entwickeln, darauf zu achten, dass etwa aus ihren Fahrauszubildenden Fahrerpersönlichkeiten werden, die als Multiplikatoren rücksichtsvollen und vorausschauenden Handelns zur Sicherheit im Straßenverkehr beitragen. Diese Sichtweise impliziert auch die Heranbildung zur intelligenten Nutzung z.B. von Verkehrsmitteln des Öffentlichen Nahverkehrs und damit die Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte.

Verkehrsandragogik als wissenschaftliche Bezugsdisziplin 

Fahr“schulen“ als Einrichtungen der Erwachsenenbildung - eine an der Erwachsenen- und Weiterbildung orientierte Umbenennung täte im Sinne eines „Nomen est omen“ gut - haben in der Verkehrsandragogik ihre wissenschaftliche Bezugsdisziplin, während sich die absolut nicht weniger wichtige Verkehrspädagogik auf verkehrserzieherische Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen konzentriert. Verkehrsandragogik bietet als Brücke zwischen Andragogik (Wissenschaft von der Erwachsenenbildung) und Pädagogik (Wissenschaft von der Kinder- und Jugendbildung) theoretische und praxisbezogene Grundlagen für die Sicherung und Weiterentwicklung von Qualität des beruflichen Handelns von Fahr“lehrern/innen“ innerhalb und außerhalb von Fahr“schulen“ und ermöglicht so Fahr“lehrern/innen“ im Schnittpunkt zwischen Theorie und Praxis eine ständige Selbstvergewisserung ihres beruflichen Handelns.

Erwachsenenbildnerische Qualitätskriterien in Fahrschulen 

Eine an bildungswissenschaftlichen Maßstäben für Erwachsene orientierte Qualitätsentwicklung von Fahrschulen beschäftigt sich vor allem mit vier Erfolgskriterien:

  1. Legitimation der Verkehrsbildung in Fahrschulen (berufsständisches Selbstverständnis/Leitbilder),
  2. Didaktik und Methodik der Verkehrsbildung in Fahrschulen (Professionalität/Teilnehmerzufriedenheit),
  3. Lernerfolg in der theoretischen und praktischen Fahrerausbildung und Weiterbildung - Verkehrsbildung (Erfolgs-, Abbrecher-, Wechsler- und Durchfallquoten),
  4. Transfererfolg des Gelernten in den Verkehrsalltag (z.B. Nutzung von Fahrerfahrungen nach dem Erwerb des Führerscheins zur vertiefenden Fahrerausbildung und Weiterbildung).

Letztendlich bemisst sich die Effektivität des theoretischen und praktischen Fahrunterrichts nicht alleine am Bestehen der Fahrprüfungen. Sie bemisst sich auch daran, inwieweit Fahrlehrer/ innen es vermochten, den Fahranfängern eine partnerschaftliche Fahreinstellung und -haltung mit auf den Weg zu geben. Damit kommt Fahrlehrern/innen eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe zu. Doch Fahrlehrer/innen können dieser Aufgabe nur dann fachgerecht nachkommen, wenn der Kreis derer, an die sich verkehrsbildende Maßnahmen wenden, eindeutiger als bisher abgegrenzt ist. Denn bildnerische Maßnahmen greifen nur dort, wo keine bewusste Inkaufnahme der Gefährdung des eigenen Lebens und des Lebens anderer vorliegt. Letztere muss als Störung der Persönlichkeitsentwicklung differenziert psychologisch diagnostiziert und therapiert werden. Im Kontext pädagogisch-andragogischer Überlegungen ist eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen objektiver (unbewusster) und subjektiver (bewusster) Risikoübernahme aus pädagogisch-andragogischer Sicht unabdingbar geboten. Denn bildnerische Maßnahmen können nur dort wirksam sein, wo es sich um Teilnehmende handelt, die unter die pädagogisch-andragogischen Kategorien der Unerfahrenheit, Unsicherheit, Ängstlichkeit, unreflektierter Routine usw. einzuordnen sind. Diese Unterscheidung subsumiert daher z.B. Selbstüberschätzung nicht unter die Kategorie der Risikobereitschaft, sondern unter die der Unerfahrenheit bezüglich der Selbsteinschätzung, der Einschätzung von kritischen Situationen im Straßenverkehr.

Angeleitetes Erfahrungslernen in der Phase erster Eigenerfahrungen nach Führerscheinerwerb

Das Modell des Begleiteten Fahrens (BF 17) hat in ersten Auswertungen deutlich gezeigt, dass ein angeleitetes Erfahrungslernen nach Erwerb des Führerscheins sich ausgesprochen positiv auf die Kompensation von anfänglicher Unerfahrenheit, Unsicherheit usw. bezüglich der Gefahrenkontrolle im motorisierten Straßenverkehr auswirkt. Indes können nicht alle Fahranfänger das Modell BF 17 in Anspruch nehmen. Stattdessen werden Fahranfänger in der kritischen Phase erster Eigenerfahrungen zu oft mit der Folge alleine gelassen, dass sie sich in risikoreiche Situationen hineinbegeben, ohne dass ihnen dies bewusst ist bzw. sein kann. Leider wird derzeit die Fahrerfahrung nach Erwerb des Führerscheins zur vertiefenden Fahreraus- und Weiterbildung nicht hinreichend, d.h. systematisch und organisiert genutzt. Das ist umso bedauerlicher als sowohl in lernpädagogischer als auch in lernpsychologischer Sicht in den meisten Fällen ein fehlerhaftes Verkehrshandeln mit objektiv hohem Risikopotenzial nicht als solches wahrgenommen werden kann. Denn die meisten Fehlhandlungen bleiben ohne Negativfolgen (nicht alle Fehler geschehen auf einmal am selben Ort zur selben Zeit und die Mehrheit der Verkehrsteilnehmenden verhält sich vorausschauend) und verstärken so fatalerweise die Fehlhandlungen. Es wäre ethisch verwerflich, Fahranfängern Unfälle zu wünschen, damit sie aus Negativfolgen lernen. Stattdessen sind Fahranfängern Gelegenheiten zu wünschen, in denen sie ihre Fahrerlebnisse durch ein gezieltes Feedback ihrer Handlungen reflektieren können, in denen sie in der ersten Phase ihrer ersten Eigenerfahrungen gezielt auf ihre Verbesserungspotenziale aufmerksam gemacht werden. Erfahrungslernen im Straßenverkehr muss zukünftig zum Gegenstand formeller Lernprozesse erhoben werden. Die Deutsche Fahrlehrer-Akademie entwickelt vor diesem Hintergrund derzeit ein erweitertes Lernkonzept für Fahranfänger in Anlehnung an die Erfahrungen mit dem Modell BF 17. Sie plädiert dafür, allen Fahranfängern in der ersten Phase der Eigenerfahrungen die Chance zum Erfahrungslernen unter kontrollierten Bedingungen in einer zusätzlichen obligatorischen Ausbildungszeit zu bieten. Dabei werden aufgrund einer lernpädagogisch notwendigen Umstrukturierung der Inhalte - bestimmte Lerninhalte werden erst aufgrund bestimmter Erfahrungen erfassbar - die Kosten für eine Fahrerausbildung auf annähernd gleichem Niveau bleiben können.

_____

Zur Person

Prof. Dr. phil. Margret Fell ist seit 1985 Inhaberin des Lehrstuhls für Erwachsenenbildung und außerschulische Jugendbildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zuvor hatte Prof. Fell ab 1983 einen Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik an der Universität Trier inne. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Lerneffektive Gestaltung von Bildungsräumen, Verkehrsandragogik, Dialogisches Führungshandeln und Dialogische Mitarbeiterführung, Betriebliche Gesundheitsförderung, Didaktik und Methodik der Erwachsenenbildung. Seit 1998 ist Prof. Fell in der wissenschaftlichen Begleitung und Mitarbeit bei der pädagogischen Weiterqualifizierung von Fahrlehrern tätig. Sie ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Fahrlehrer-Akademie e.V. und arbeitet dort in verschiedenen Arbeitsgruppen mit.

 

Zurück